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Insektensterben schwächt Wirtschaft und gefährdet unsere Ernährung

Actualité - mai 9, 2018
Pummelige Hummeln, schillernde Schmetterlinge, zwitschernde Vögel: Sie alle bereichern unser Leben – und unsere Wirtschaft. Dumm und gefährlich also, diese Schätze nicht zu hüten.


© Axel Kirchhof / Greenpeace

Weltumspannend, produktiv und hoch profitabel: Warum zerschlagen wir einen Betrieb, der jährlich unfassbare Werte produziert? Mehrere Billionen Euro sollen es weltweit sein. Genau beziffern lässt sich die Summe nicht, denn vieles findet im Verborgenen statt, manche Zusammenhänge sind noch nicht einmal erkennbar. Wir sollten den Hut ziehen – vor unserem raffinierten Ökosystem.

Stattdessen tritt Homo oeconomicus kurzsichtig darauf herum, zerstört Wälder und Wiesen, verschmutzt Gewässer und verdrängt all diejenigen, die ihm das Leben auf diesem Planeten angenehm machen. Ackerwildkräuter, Wildbienen, aber auch Vögel geraten in Bedrängnis.

75 Prozent weniger Insekten

Seit 1980 haben sich in der Agrarlandschaft die Bestände der Vögel halbiert. Alarmierend auch die Ergebnisse von Insektenforschern aus Krefeld, Deutschland: Diese haben seit 1989 mit speziellen Fallen in einem Naturschutzgebiet im Orbroicher Bruch Insekten gesammelt. Das Fazit: Innerhalb von 27 Jahren ist die Insektenmasse um mehr als 75 Prozent zurückgegangen.

Die Daten bestätigen, was längst spürbar ist: Es ist stiller und farbloser geworden in unserer Welt. Wie oft sehen wir noch Schmetterlinge wie den zierlichen Aurorafalter oder das bunte Tagpfauenauge? Und trällert die Vogelbestimmungs-App nicht mittlerweile vielstimmiger als der gefiederte Besuch vorm eigenen Haus?

Wir verlieren Dutzende von Arten jeden Tag und bringen die Ökosysteme an ihre Grenzen“, fasste im März 2018 Achim Steiner, Chef des UN-Entwicklungsprogramms, die Situation weltweit zusammen. Die ökologischen Auswirkungen spürt auch die Wirtschaft.

Wer bestäubt den Apfelbaum?

Denn ob Äpfel, Mandeln oder Blaubeeren: Zwei Drittel aller Nahrungspflanzen sind auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. In China werden mittlerweile Menschen dafür bezahlt, Blüten mit einem Pinsel zu bestäuben. In Deutschland z.B., mit seinen höheren Lohnkosten, wäre das teuer: Schätzungen zufolge liegt die Bestäubungsleistung der Insekten bei zwei bis vier Milliarden Euro. In den USA haben findige Geschäftsleute riesige mit Bienenkörben gefüllte Lastwagen auf den Markt gebracht – zum Mieten für Landwirte.

Die Frage ist nur: Ist es nicht sinnvoller, all die nützlichen Helfer zu erhalten, die kostenlos ihre Dienste zur Verfügung stellen? Zumal auch klar ist, dass das System irgendwann kollabiert. Ohne Regenwurm beispielsweise gäbe es keinen fruchtbaren Humus. Den stellt der unermüdliche Nützling fortlaufend her, indem er Blätter und andere Pflanzenreste verspeist und als Humus wieder ausscheidet. Die Humusschicht enthält für das Pflanzenwachstum notwendige Mineral- und Nährstoffe, erhöht die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens, verhindert Bodenerosion – um nur einige Eigenschaften zu nennen. Gut also, dass es den Regenwurm gibt.

„Vielfalt erzeugt Stabilität“

Doch wie viel Schwund verträgt das Ökosystem? Schließlich stürzt ein Haus auch nicht zusammen, wenn ein paar Steine fehlen. Oder schließen gar andere Arten die Lücken? „Der Verlust jeder einzelnen Art ist im Ökosystem spürbar“, erklärte Prof. Dr. Nico Eisenhauer vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung gegenüber der taz. Im sogenannten Jena-Experiment untersuchen Wissenschaftler seit 16 Jahren, welchen Einfluss biologische Vielfalt auf Ökosysteme hat – am Beispiel von Wiesen. Dort zeigten artenreiche Versuchsflächen eine deutlich bessere Bodenqualität als die als Monokultur angelegten; sie konnten sich zudem wesentlich schneller von Umwelteinflüssen wie Überschwemmungen erholen. „Vielfalt erzeugt Stabilität“, so Eisenhauer.

Es geht aber nicht nur um den Verlust einzelner Arten“, sagt Agrarökonom Martin Hofstetter von Greenpeace Deutschland. „Auch die Masse an Wildkräutern und Insekten nimmt insgesamt ab. Damit verschwindet die Lebensgrundlage vieler Tiere. Weniger Vielfalt auf dem Acker bedeutet oft auch weniger Leben im Boden und eine schlechtere Bodenqualität. Die Artenvielfalt zu erhalten ist neben der Bekämpfung des Klimawandels die größte ökologische Herausforderung unserer Zeit.

Viel Gift, wenig Wildnis

Nur, was verursacht das Massensterben? Hier besteht sicherlich im Detail noch Forschungsbedarf. Doch das, was bereits bekannt ist, reicht aus, um zu handeln. Es sind vor allem die Veränderungen in der Landwirtschaft, die den Arten zusetzen: Monokulturen mit wenigen Fruchtfolgen, größere Äcker, fehlende Hecken, Säume und Brachflächen sowie die Intensivierung der Landwirtschaft durch Pestizide und Dünger.  

Denn viele Wildblumen, Gräser und Kräuter vertragen die gleichförmig mit Stickstoff und Phosphat überdüngten Wiesen und Äcker nicht. Meist sind sie dort auch unerwünscht, denn sie verringern aus Sicht der Landwirte den Ertrag. Pestizide wie Glyphosat oder Neonicotinoide beseitigen jedoch nicht nur unliebsame Kräuter und Schädlinge, sie vernichten auch allerhand Nützliches und Schönes. Was immer mehr fehlt, ist Wildnis: Flächen, die scheinbar unproduktiv sich selbst überlassen werden – dabei aber vielfach genutzter Lebensraum von Wildpflanzen und Tieren wie Insekten sind. Und eine Augenweide für uns Menschen.

Die Agrarpolitik der vergangenen Jahre hat diese Fehlentwicklung unterstützt und hinterlässt immer mehr ökologische Wüsten auf dem Lande“, so Martin Hofstetter. „Wir brauchen aber eine bodenschonende, vielfältige und nachhaltigere Landwirtschaft zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Das sind wir künftigen Generationen schuldig.

 

>>> Weitere Tipps finden Sie im Ratgeber.

 

Article Source : Greenpeace Deutschland