Bern, 1. September 2011. Im Gegensatz zu den Forschenden bewertet die Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnolgie SAG die Resultate des Freisetzungsversuches mit genmanipuliertem Weizen der ETH und Uni Zürich als Misserfolg. Das vier Millionen Franken teure Herzstück des Nationalen Forschungsprogrammes NFP 59 hat lediglich bestätigt, was bekannt war: Unter Umweltbedingungen zeigen Labor-Gentechpflanzen oft unerwartete Reaktionen und Nebeneffekte.

Florianne Koechlin, SAG-Vorstandsmitglied, Biologin und Gentech-Kritikerin der ersten Stunde analysierte die Ergebnisse der Freisetzungsversuche mit mehltauresistentem Gentech-Weizen. Dem Konsortium Weizen, das Forschende von ETH und Uni Zürich sowie weiterer Universitäten vereint, wirft sie vor, die mageren Resultate kommunikativ zu beschönigen. «Die unerwarteten Nebenwirkungen waren keine Überraschung. Das hat sich in den letzten 20 Jahren immer und immer wieder bestätigt: Genmanipulierte Pflanzen verhalten sich im Freiland anders als im Labor.» Der Grund dafür: Die eingeführten Gene verursachen im ganzen Organismus Turbulenzen.

Florianne Koechlin fordert mehr Agrarforschung, die direkt bei den Problemen der Bauern anknüpft und die die Komplexität der Ökosysteme einbeziehen kann. Für diese Art Forschung soll der Bund mehr Gelder zur Verfügung stellen, nicht für sinnlose Freisetzungsexperimente mit Gentech-Pflanzen.

Moratoriums-Verlängerung bleibt politischer Entscheid

Maya Graf, Nationalrätin der Grünen und SAG-Präsidentin glaubt nicht, dass die Resultate des NFP 59 den Erkenntnisgewinn für Bundesrat und Parlament bringen, den man sich beim Start vor vier Jahren zum Ziel setzte. «Es bleibt an der Politik über das Anbau-Moratorium für Gentech-Pflanzen zu entscheiden.» In dieser Frage sind für Maya Graf die positiven Erfah- rungen, welche der Ernährungssektor unter dem Schutzschirm des Moratoriums sammelte wichtiger als die Forschungsprojekte an Weizen. Weizen sei schon zu Beginn der Versuche als unpassende Kulturpflanze kritisiert worden. Daran hat sich nichts geändert.

Die SAG rüstet sich für die Gentechfrei-Zukunft. Bis Anfang 2012 wollen die Bauern-, Konsumenten-, Umwelt-, Entwicklungs- und Tierschutzorganisationen Strategien und Massnahmen für die Zeit nach Ablauf des bis Ende 2013 andauernden Gentech-Moratoriums entwickeln. Gemeinsames Ziel ist, dass die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft unter optimalen Bedingungen gentechfreie Lebensmittel herstellen können. Die Auslegeordnung der Strategien geht von einer Gentechfrei-Initiative 2 über parlamentarische Vorstösse bis zum reinen Marktszenario, das darauf baut, dass weder die KonsumentInnen noch der Detailhandel an Gentech-Lebensmitteln interessiert sind.

Fokus international: Koexistenz funktioniert schlecht

Zum Medientreffen hatte die SAG Prof. Jack Heinemann, Molekularbiologe an der University of Canterbury (Neuseeland) eingeladen. Er untersucht in einem internationalen wissenschaftlichen Netzwerk die praktizierte Koexistenz von genmanipulierten und herkömmlichen Pflanzen. Wenn der Schutz der gentechnikfreien Produktion als Mass für das Funktionieren der Koexistenz genommen wird, dann fällt sein Urteil erbärmlich aus. Heinemann belegt an zahlreichen weltweit bereits eingetretenen Fehlschlägen, dass die erwünschte Trennung von GVO und Nicht-GVO zu unlösbaren Problemen führt. Die Koexistenzstrategie, beide Anbausysteme nebeneinander möglich zu machen, geht nicht auf.

Für Heinemann verstärken sich diese Probleme im Hinblick auf die kleinräumige Schweizer Landwirtschaft. Der Landwirtschaft würde eine Situation bevorstehen, die laufend von Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsverfahren geprägt wäre. Mittelfristig würde die Koexistenz dazu führen, dass die Konsumentinnen und Konsumenten Gentech-Verunreinigungen in Bioprodukten akzeptieren müssten. Längerfristig wäre zu erwarten, dass biologisches und konventionelles Saatgut mit Gentech-Saatgut verunreinigt würde. Die Situation in Ländern, wo die Koexistenzlösung bereits praktiziert wird, zeigt, dass der gentechfrei produzierende Bauer zudem unverhältnismässig hohe Kosten zu tragen hat.

Marianne Künzle von Greenpeace begründet, weshalb die Schweiz nicht zum Sonderfall wird, wenn sie auch nach Ablauf des Moratoriums gentechfrei bleibt. Mehrere europäische Länder haben den Anbau von Gentech-Pflanzen verboten, Hunderte Städte, Gemeinden und Regionen deklarieren sich freiwillig als «gentechfrei». Auch sind die sowieso sehr kleinen Gentech- Anbauflächen in der EU im letzten Jahr um 13% gesunken. «Wenn die Schweizer Land- und Lebensmittelwirtschaft gentechfrei bleibt, ist das kein rückwärtsgewandter Entscheid. Die Schweiz wird hingegen zum Sonderfall, wenn sie in Zukunft auf Agro-Gentechnik setzen würde.» sagt Marianne Künzle.