People’s Climate Case: Nach Klageabweisung durch das Europäische Gericht gehen Klägerinnen und Kläger gemeinsam in Berufung / Europäischer Gerichtshof soll nun über Zulässigkeit entscheiden / Anwälte sehen zu enge Auslegung der EU-Verträge durch erste Instanz

Luxemburg,  11. Juli 2019 – Zehn Familien und ein Jugendverband (Saami Youth Association), die gegen die Verletzung ihrer Grundrechte durch eine zu schwache Klimapolitik der EU klagen, haben heute beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Berufung eingelegt. Die Klägerfamilien aus Europa, Kenia und Fidschi sowie der samische Jugendverband reagieren damit auf die Klageabweisung in erster Instanz durch das Europäische Gericht (EuG). Dieses hatte die Klage, in der die Familien das Europäische Parlament und den Rat der EU für den Schutz ihrer Grundrechte durch eine ambitioniertere Klimapolitik in die Pflicht nehmen, mit dem Argument abgewiesen, die Familien seien nicht ausreichend individuell betroffen. 

Das Europäische Gericht hat es abgelehnt, den Familien und Jugendlichen, die von den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen sind, Zugang zu Gerichten zu gewähren, weil es viele andere Menschen gibt, die von der Klimakrise betroffen sind. Das steht im Widerspruch zum Grundprinzip der Grund- und Menschenrechte, die jedem Einzelnen Schutz gewähren”, sagt Dr. Roda Verheyen, Prozessvertreterin der Familien. “Wir hoffen, dass der Europäische Gerichtshof seine Auslegung der EU-Verträge anpasst, um hier im Kontext der globalen Auswirkungen des Klimawandels die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen

In der Rechtsmittelschrift wenden sich die Anwälte gegen die enge Interpretation des erstinstanzlichen Gerichts mit Blick auf die direkte und individuelle Betroffenheit. Sie argumentieren, dass die Klägerinnen und Kläger auf besondere Art und Weise vom Klimawandel bedroht sind. Die Betroffenheit variiere je nach Alter, Beruf, Wohnort und gesundheitlicher Verfassung.

Die Recktenwalds von der ostfriesischen Insel Langeoog (DE) gehören zu den klagenden Familien. „Wir gehören nicht zu den großen Emittenten, die den Klimawandel maßgeblich verursachen, sondern wir leiden unter den Folgen“, sagt Maike Recktenwald. “Der Meeresspiegelanstieg und die durch den Klimawandel stärker werdenden Sturmfluten sind auf Langeoog schon jetzt zu spüren. Unsere Lebensgrundlage und die unserer Kinder ist in Gefahr. Die Politik handelt angesichts dieser dramatischen Situation nicht entschieden genug. Wir hoffen, dass das Gericht dies wahrnimmt und sich für Klimaschutz und unsere Grundrechte einsetzt.

Im vergangenen Monat konnten sich die Staats- und Regierungschefs der EU nicht darauf einigen, die Emissionen bis 2050 auf Null zu senken und das Klimaziel der EU für 2030 zu erhöhen. Maurice Feschet, französischer Lavendelbauer, der von Dürreperioden und Hitzewellen heimgesucht wurde, sagte zu der enttäuschenden Leistung der EU im Hinblick auf verstärkte Klimaschutzmaßnahmen: „Die Staats- und Regierungschefs der EU nehmen die Klimakrise immer noch nicht vollständig ernst, während die BürgerInnen immer mehr unter extremen Hitzewellen, Dürren und Waldbränden leiden. Die Gerichte, die dafür verantwortlich sind, den BürgerInnen Rechtsschutz zu gewähren, wenn die Entscheidungsträger uns im Stich lassen, sollten die Auswirkungen der anhaltenden Klimakrise auf die Menschenrechte nicht unterschätzen. Sie müssen unsere Aussagen ernst nehmen und anfangen, das Versagen der EU-Regierungen zu beheben.”

Das beklagte EU-Parlament und der Rat der EU haben in den nächsten zwei Monaten die Möglichkeit, auf die Rechtsmitteleinlegung zu reagieren. Danach erfolgt eine Entscheidung durch den EuGH über die Zulässigkeit der Klage. Wird der Fall auch in zweiter Instanz abgewiesen, findet das Verfahren hier sein Ende – mit dem Ergebnis, dass die europäischen Gerichte Klimawandel-Betroffenen keinen Rechtsschutz gewähren. Sollte der EuGH dem Urteil des EuG hingegen widersprechen und die Zulässigkeit bejahen, wird das Verfahren zur Weiterverhandlung an das EuG zurückverwiesen und das Hauptverfahren im Hinblick auf Notwendigkeit und Machbarkeit einer Klimazielverschärfung für die EU fortgesetzt. 

Der People’s Climate Case wird von einem breiten Bündnis von Umweltverbänden, sowie von WissenschaftlerInnen und BürgerInnen unterstützt. Über 210.000 Menschen aus Europa haben sich über eine Petition von we.move mit den Klägerfamilien solidarisiert. 

Die Kläger-Familien wurden mit „ACTION“-Preisen ausgezeichnet und weltweit zu Schulstreiken für das Klima eingeladen, um über die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels aus erster Hand zu berichten.

Am 23. September veranstaltet der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, in New York einen Klimagipfel, auf dem von allen Ländern konkrete Aktionspläne zur Beschleunigung des Klimaschutzes erwartet werden. Um zu vermeiden, dass die EU mit leeren Händen am Gipfel teilnimmt, müssen die Staats- und Regierungschefs der EU zum Verhandlungstisch zurückkehren und sich auf ein viel höheres Klimaziel für 2030 einigen.

 

Anmerkungen

Weitere Informationen zum People’s Climate Case auf: https://peoplesclimatecase.caneurope.org/