Veröffentlicht am 30. Oktober im Luxemburger Wort von Myrna Koster, Campaignerin für Klimagerechtigkeit bei Greenpeace Luxemburg
“What do we want? Climate Justice! When do we want it? Now!” ist wohl einer der bekanntesten Slogans heutiger KlimaschützerInnen. Sei es auf Klimastreiks, auf anderen Umweltschutzaktionen oder ganz generell in der Umweltbewegung, Klimagerechtigkeit entwickelt sich immer mehr zu einem brandaktuellen Thema. Aber was heisst eigentlich Klimagerechtigkeit, wen betrifft es und was hat Luxemburg damit zu tun?
Wir kennen alle die schrecklichen Bilder von Taifunen in Asien, Waldbränden in Europa, Australien und Amerika und tödlichen Zyklonen in Afrika. Wir spüren die direkten Gefahren des Klimawandels immer häufiger in unserem eigenen Zuhause, sei es starke Überschwemmungen oder die fast jährlichen Hitzewellen. Der Klimawandel ist bei uns angekommen, soviel ist sicher.
Aber was hat das mit Gerechtigkeit zu tun? Das Problem wird klar, wenn wir uns anschauen, wer die HauptverursacherInnen des Klimawandels sind und welche Teile der Welt am meisten unter seinen Folgen leiden: denn einige trifft es viel schlimmer als andere! Nach mehreren Jahrzehnten Klimaforschung wissen wir, dass die EinwohnerInnen des Globalen Südens, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, leider auch diejenigen sind, die am schlimmsten von seinen Folgen betroffen sind und deren Existenz durch die Klimakrise am häufigsten auf dem Spiel steht. Und es ist genau da, wo die Klimagerechtigkeit ansetzt.
Klimagerechtigkeit ist aber nicht nur ein Konzept, es ist auch eine wachsende globale Bewegung, die auf der Überzeugung beruht, dass jeder Mensch ein Recht auf ein stabiles Klima hat und vor den Gefahren des Klimawandels geschützt werden muss. Ein Recht, das sogar in einer ähnlichen Form vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen anerkannt wurde [1]. Zur Klimagerechtigkeit gehört ebenfalls die “Generationengerechtigkeit”. Damit ist gemeint, dass beim heutigen Handeln auch die Folgen für die Zukunft mitbedacht werden und den zukünftigen Generationen eine Welt hinterlassen werden soll, in der sie gut leben können.
Wichtig ist also zu verstehen, dass wir nicht nur von der Zerstörung unseres Planeten, seiner Fauna und Flora reden, sondern auch von der Verschlimmerung bereits existierender sozialer Probleme und einem negativen Einfluss auf unsere prinzipiellen Menschenrechte. Wir reden davon, dass unsere Gesundheit durch Nahrungsmittel- und Wasserknappheit auf dem Spiel steht, dass der Klimawandel tagtäglich zum Verlust von Eigentum, Wohnraum und Lebensqualität führt, dass er eine der größten Bedrohungen für das menschliche Leben darstellt und dies vor allem für die Schwächsten in unserer Gesellschaft, wie Kinder, ältere Menschen, marginalisierte Gemeinschaften und indigene Bevölkerungsgruppen. Wir reden davon, dass die Klimakrise eine Menschenrechtskrise ist.
Das ist also unter Klimagerechtigkeit oder, wie die obengenannten Beispiele klarmachen, KlimaUNgerechtigkeit zu verstehen. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass die Regierungen und Firmen der Industriestaaten, trotz existierender alternativer Technologien, trotz Menschenmengen auf den Straßen, weiterhin an ihren veralteten Systemen festhalten und damit Leben aufs Spiel setzen, nicht nur am anderen Ende der Welt, sondern immer öfter auch vor unserer eigenen Tür.
Die BürgerInnen weltweit haben erkannt, dass Klimakrise und Menschenleben Hand in Hand gehen, und auch in Luxemburg verlangen die Menschen immer öfter Klimagerechtigkeit. Sie fragen sich, warum wird die Klimakrise nicht ernster genommen? Warum geht alles so langsam voran, wenn doch Menschenrechte und sogar Menschenleben auf dem Spiel stehen? Warum handeln unsere Politiker nicht dementsprechend? Wie kann es sein, dass die Firmen des fossilen Sektors weiterhin “business as usual” und “Greenwashing” betreiben dürfen und keiner ihnen klare Grenzen setzt? Wie kann es sein, dass unsere Regierung ihrer Aufgabe, die BürgerInnen zu schützen, in diesem spezifischen Fall nicht nachkommt?
Immer mehr Menschen stellen sich diese Fragen und greifen zu rechtlichen Mitteln indem sie ihre eigene Regierung oder auch die größten “Climate villains” vor Gericht verklagen [2]. Und immer mehr Gerichte geben den KlägerInnen Recht. Nehmen wir zum Beispiel das Urteil in der historischen Urgenda-Klage, die die niederländische Regierung dazu verpflichtete, die nationalen Emissionen bis 2020 um mindestens 25% gegenüber 1990 zu senken [3]. Oder der rezente Sieg von vier Organisationen gegen den französischen Staat in der “Affaire du siècle”, in der das Pariser Verwaltungsgericht den französischen Staat verpflichtet hat, unverzüglich konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die durch seine Untätigkeit verursachten Umweltschäden bis Ende 2022 zu beheben [4]. Ein weiterer Sieg haben wir in einer historischen Klage gegen Shell erlebt. Der Ölgigant muss, laut Gericht, seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45% reduzieren [5]. Und auch das deutsche Bundesverfassungsgericht gab den KlägerInnen Recht und urteilte, dass Klimaschutz ein Menschenrecht ist und die heute unzureichende Klimaschutzpolitik der deutschen Regierung Freiheits- und Grundrechte von morgen beeinträchtigt [6].
Auch die Luxemburger Regierung blieb in Punkto Klimaklage nicht verschont. Im September 2020 verklagten sechs junge Menschen aus Portugal 33 Länder, darunter auch Luxemburg, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Die KlägerInnen leiden bereits jetzt unter den rekordverdächtigen Hitzewellen und verheerenden Waldbränden in einem nie dagewesenen Ausmaß und argumentieren, dass ohne dringende Maßnahmen, um fossile Brennstoffe im Boden zu belassen, ihrer Generation eine Zukunft bevorsteht, die von tödlichen Wetterextremen beherrscht wird. Ziel dieser Klage ist es, eine rechtsverbindliche Entscheidung des EGMR zu erwirken, die die angeklagten Regierungen dazu verpflichtet, tiefgreifendere und sofortige Emissionssenkungen innerhalb ihrer Grenzen vorzunehmen, aber auch eine Reduzierung ihres Beitrags zu den im Ausland ausgestoßenen Emissionen anzugehen. Und obwohl in dieser Klimaklage noch kein Urteil gesprochen wurde, hat der Gerichtshof in Straßburg innerhalb weniger Wochen nach Einreichung der Klage beschlossen, den Fall aufgrund der “Bedeutung und Dringlichkeit der aufgeworfenen Fragen” im Schnellverfahren zu behandeln.
Für viele BürgerInnen und Gerichte scheint klar, dass unsere Regierungen ihrer Verantwortung nicht nachkommen, ausreichend gegen den Klimawandel zu handeln, Klimagerechtigkeit zu gewähren und den Schutz der BürgerInnen zu garantieren. Muss es zu weiteren Gerichtsfällen kommen, damit die Regierungen weltweit und auch die Luxemburger Regierung endlich verstehen, dass es nicht reicht, im Nachhinein Geld an die vom Klimawandel betroffenen Länder zu schicken [7]? Sondern dass wir präventiv handeln müssen?
Die Klimakrise muss gestoppt, Menschenleben müssen geschützt werden, und das kann nur passieren, indem Luxemburg schneller und wirkungsvoller vor seiner eigenen Tür kehrt. Dazu gehört, dass wir nicht nur ambitioniertere Klimaziele brauchen und endlich alle nationalen Sektoren, die den Klimawandel mit befeuern, in die Pflicht nehmen. Dies gilt darüber hinaus auch für den Finanzsektor und unseren staatlichen Pensionsfond FDC. Luxemburg muss aufhören, die grössten “Climate villains” zu finanzieren und stattdessen die erneuerbaren Energiealternativen ausbauen, um schnellstmöglich von Kohle, Gas und Öl weg zu kommen.
Meine Frage an unsere Regierung ist diese: Wird Luxemburg den Mut haben und alle nur möglichen politischen Entscheidungen treffen, um den Klimawandel und die damit verbundene Menschenrechtskrise endlich mit Leib und Seele anzugehen, um seinen Teil zu einer globalen Klimagerechtigkeit beizutragen? Oder müssen erst die Luxemburger Gerichte den BürgerInnen in Sachen Klimagerechtigkeit Recht aussprechen, damit die Regierung endlich beim Klimaschutz effektiver handelt?
[1] Der Menschenrechtsrat mit Sitz in Genf hat am 8. Oktober 2021 in seiner Resolution 48/13 zum ersten Mal anerkannt, dass eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt ein Menschenrecht ist. https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=27635&LangID=E
[2] Weltweit hat sich die Zahl der Klimaklagen seit 2015 mehr als verdoppelt. In den letzten 6 Jahren wurden über 1.000 Klagen eingereicht, darunter immer mehr Klagen von Einzelpersonen und NGOs, die die Rechte von Menschen geltend machen, die direkt von der Klimakrise betroffen sind. https://www.lse.ac.uk/granthaminstitute/wp-content/uploads/2021/07/Global-trends-in-climate-change-litigation_2021-snapshot.pdf
[3] https://www.urgenda.nl/en/themas/climate-case/
[4] https://laffairedusiecle.net/actualites/
[6] https://www.greenpeace.de/themen/klimakrise/bombenschlag
