Am Mittwoch, 23. Juli 2025, stellten die Richter des Internationalen Gerichtshofs im niederländischen Den Haag nach einer mehr als zweistündigen Anhörung den Inhalt ihres Gutachtens zu den Verpflichtungen der Staaten im Bereich des Klimawandels und dessen Auswirkungen auf die Menschenrechte vor. Es ist ein Dokument von mehr als 140 Seiten, das Geschichte schreiben wird. Altynaï Bidaubayle, Kampagnerin bei Greenpeace Luxemburg, war bei diesem historischen Moment vor Ort.

Altynaï Bidaubayle, Kampagnerin bei Greenpeace Luxemburg vor Ort bei diesem historischen Moment.

Das Gutachten bestätigt, dass die Menschenrechte auch vor den Auswirkungen der globalen Erwärmung schützen. Das bedeutet, dass die Staaten für eine wirksame Klimapolitik verantwortlich sind. Für Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, ist dies “ein Sieg für den Planeten, für die Klimagerechtigkeit und für die Fähigkeit junger Menschen, etwas zu bewegen”. 

Hier sind fünf Gründe, weshalb dieses Gutachten historische Tragweite hat:

1. Es zeigt die Kraft des zivilgesellschaftlichen Engagements

Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs ist ein Durchbruch, der die Kraft des zivilgesellschaftlichen Engagements zeigt. Dieses historische Gutachten wurde von 27 Jurastudierenden von Inseln im Südpazifik und einer globalen Jugendbewegung initiiert, die sich dafür einsetzten, dass ihre politischen Entscheidungsträger:innen ihre Forderung vor die Vereinten Nationen bringen, was schließlich auch geschah.Der Internationale Gerichtshof wurde von den Vereinten Nationen beauftragt, sich zur Verantwortung der Staaten für die globale Erwärmung und deren Auswirkungen auf die Menschenrechte zu äußern. Das Ziel der Mobilisierung dieser Studierenden: das größte Problem der Welt vor das höchste Gericht der Welt zu bringen. Für die Inseln im Südpazifik ist die globale Erwärmung eine existenzielle Bedrohung. Dieser Schaden ist eine direkte Folge der Untätigkeit wohlhabender Länder mit hohem Schadstoffausstoß, wie etwa Luxemburg, die seit Jahrzehnten nicht bereit sind, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um ihren fairen Beitrag zur Lösung des Problems zu leisten. Der Gerichtshof hat die Forderung der Inselstaaten gehört. 

2. Es läutet eine neue Ära für die Klimagerechtigkeit ein

Diese Stellungnahme ist erst die fünfte, die der Gerichtshof in seiner 80-jährigen Geschichte einstimmig abgegeben hat. Der Gerichtshof betont, dass die globale Erwärmung eine “dringende und existenzielle Bedrohung” darstellt und dass die Staaten “strikte Verpflichtungen zum Schutz des Klimasystems (…) für heutige und zukünftige Generationen” haben. Er bekräftigt Gutachten und Urteile, die zuvor von internationalen Rechtsinstanzen wie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte erwirkt wurden. Und das, obwohl sich die großen Verursacherländer weigern, die Rechte von Menschen, die noch nicht einmal geboren sind, rechtlich anzuerkennen. Diese Stellungnahme markiert den Beginn einer neuen Ära für die Klimagerechtigkeit. Sie klärt ein für alle Mal die internationalen Verpflichtungen der Staaten im Bereich des Klimaschutzes, aber auch und vor allem die Folgen der Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen. Sie ebnet den Weg für neue Klimarechtsfälle und eröffnet Möglichkeiten, diejenigen Staaten, die für den Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich sind, mit den Folgen ihrer klimapolitischen Inkonsequenz zu konfrontieren. Die Hoffnung ist, dass diese neuen Gerichtsverfahren den am stärksten gefährdeten und verletzlichsten Ländern und Gemeinschaften Gerechtigkeit verschaffen. Dabei handelt es sich in erster Linie um die ärmsten Länder, die am stärksten unter den Auswirkungen der globalen Erwärmung leiden, obwohl sie am wenigsten dazu beitragen. 

Les responsables de mouvements de jeunesse et les communautés les plus touchées manifestent devant le Palais de la Paix, siège de la Cour internationale de justice.

3. Es bestätigt, dass Staaten für ihre Untätigkeit rechtlich zur Verantwortung gezogen werden können

Der Internationale Gerichtshof bestätigt, dass die Verantwortung der Staaten im Bereich der Menschenrechte darin besteht, die Grenze von 1,5 °C einzuhalten. Konkret bestätigt der Gerichtshof, dass die Staaten Sorgfalt walten lassen und sicherstellen müssen, dass ihre Klimapolitik mit den international anerkannten Zielen zur Eindämmung der globalen Erwärmung im Einklang steht. Dies bestätigt das Urteil, das die Schweizer Klimaseniorinnen in Straßburg erwirkt haben. Mit anderen Worten: Ein Staat, der wie Luxemburg eine unzureichende Politik betreibt, kann vor einem Gerichtshof an seine Verantwortung erinnert werden, wie dies 2024 bei der Schweiz der Fall war. Diese Stellungnahme zeigt, dass die Schweiz im Fall der Klimaseniorinnen einen aussichtslosen Kampf gegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führt.

4. Es stellt fest, dass die Staaten die Unterstützung der fossilen Energiesektoren einstellen müssen

Der Wortlaut des Gutachtens ist eindeutig. «Die Tatsache, dass ein Staat keine geeigneten Massnahmen zum Schutz des Klimasystems vor Treibhausgasemissionen ergreift, insbesondere durch die Produktion oder Nutzung fossiler Brennstoffe oder durch die Erteilung von Explorationsgenehmigungen oder Subventionen für fossile Brennstoffe, kann eine international rechtswidrige Handlung darstellen, die diesem Staat zuzurechnen ist.» Länder mit hohem Schadstoffausstoß müssen ihre Emissionen drastisch reduzieren und für die verursachten Schäden aufkommen. Das bedeutet auch, dass Staaten eine gewisse Verantwortung für rechtswidrige Handlungen von Unternehmen übernehmen müssen, die auf ihrem Hoheitsgebiet tätig sind. Dies ist ein wichtiger Fortschritt. Der Gerichtshof geht sogar noch weiter und stellt fest, dass ein Staat haftbar gemacht werden kann, wenn er nicht „die erforderlichen ordnungspolitischen und gesetzlichen Maßnahmen ergreift, um die Menge der Emissionen zu begrenzen, die von den seiner Hoheitsgewalt unterliegenden privaten Wirtschaftsakteuren verursacht werden.“

Zwei Aktivist·innen fallen sich nach der Veröffentlichung des Gutachtens freudig in die Arme.

5. Es ebnet den Weg für Entschädigungen für die am stärksten betroffenen Länder und Gemeinschaften 

Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs legt das Recht auf Entschädigung für die Auswirkungen der globalen Erwärmung fest. “Die rechtlichen Folgen einer völkerrechtswidrigen Handlung können […] die vollständige Wiedergutmachung des den geschädigten Staaten entstandenen Schadens in Form von Rückerstattung, Entschädigung und Genugtuung umfassen.” Verstöße gegen Klimaverpflichtungen führen zu vollständigem Schadensersatz. Dazu gehört die Verpflichtung, schädliche Handlungen einzustellen und eine finanzielle Entschädigung für Verluste und Schäden zu leisten. Dies kann bis zur Auferlegung einer sofortigen Beendigung von CO2-Emissionen führen, die einen auf wissenschaftlichen Daten basierenden Sicherheitsgrenzwert überschreiten. Einfach ausgedrückt wird diese Entscheidung Bürgerinitiativen neuen Schwung verleihen und die wachsende Welle von Gerichtsverfahren für ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen verstärken.


Quelle Originalartikel: Greenpeace Schweiz