Veröffentlicht am 30. Oktober im Luxemburger Wort von Martina Holbach, Klima- und Finanzcampaignerin bei Greenpeace Luxemburg

Herbst 2023. In wenigen Tagen werden die BürgerInnen und Bürger Luxemburgs an die Wahlurnen schreiten, um ein neues Parlament zu wählen. Einige Wochen zuvor hatten Überschwemmungen weite Teile des Landes heimgesucht und zu großem Leid und Zerstörung geführt. Die RegierungsvertreterInnen versprachen Hilfe in der Not und beteuerten, alles in ihrer Macht stehende getan zu haben, um das Klima zu schützen und die Menschen auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten. Unterdessen mobilisiert die Zivilgesellschaft am Freitag vor dem Wahlsonntag zur größten Demonstration, die das Land je gesehen hat. Der Klimaschutz ist zum Top-Thema des Wahlkampfes avanciert. 

Sicher, dies ist ein fiktives, aber durchaus realistisches Szenario. Bereits heute erfahren wir die Folgen des Klimawandels auch hierzulande am eigenen Leib. Und obwohl ihr die Dringlichkeit der Lage bekannt ist, hat die blau-rot-grüne Regierungskoalition – ebenso wie die vorangegangenen Regierungen – es bislang versäumt, den Umbau des Landes zu einer klimaschonenden, nachhaltigeren und gerechteren Gesellschaft in die Wege zu leiten.

Herbst 2021. Die Rede zur Lage der Nation beginnt vielversprechend. Klimaschutz ist das Thema Nr.1. Nur wenige Wochen zuvor haben verheerende Überschwemmungen Teile des Landes heimgesucht und zu großem Leid und Zerstörung geführt. Doch die Zuhörer*Innen warten vergebens darauf, dass der Regierungschef nun den konsequenten Klimaschutz ankündigt, den wir brauchen. Gewiss, Bettel verweist auf eine ganze Reihe von Maßnahmen, damit Haushalte und Industrien weniger Treibhausgase ausstoßen, mehr Energie eingespart und der Ausbau der erneuerbaren Energien gefördert wird. Doch reichen diese aus, um Luxemburg bis spätestens 2050 klimaneutral zu machen? Oder gar den nachhaltigen Umbau unserer Gesellschaft auf den Weg zu bringen? Wohl kaum. Über diese Fragen soll nun ein Bürgerrat diskutieren. Leadership sieht anders aus.

Die nächsten Parlamentswahlen sind noch eine Weile hin, doch schon jetzt muss konstatiert werden, dass die blau-rot-grüne Regierungskoalition in ihren beiden Amtsperioden zufriedenstellende Antworten auf die großen Zukunftsthemen schuldig geblieben ist. Wie wollen wir unseren völlig unangemessenen Ressourcenverbrauch auf ein nachhaltiges Maß reduzieren? Wir alle wissen, dass die Tage des Verbrennungsmotors gezählt sind, wie also wollen wir auch unsere wirtschaftliche Abhängigkeit vom Verkauf von billigem Benzin und Diesel beenden? Wie können wir unsere Landwirtschaft so gestalten, dass sie den Interessen der Landwirte gerecht wird und gleichzeitig unseren eigenen Lebensmittelbedarf weitestgehend deckt, ohne das Klima, die heimische Biodiversität und die Regenwälder zu gefährden? Welche Finanzierungsmechanismen müssen wir schaffen, damit die ökologisch-soziale Transformation des Landes gelingt? Mit gratis öffentlichem Transport und Prämien für Elektro-Mobilität allein wird das nicht gelingen. Wie können wir in einer Zeit, in der die Schere zwischen arm und reich immer weiter aufklafft, beim Klimaschutz alle BürgerInnen mitnehmen? Die Verteilungsfrage wird im Zusammenhang mit der Klimapolitik mit darüber entscheiden, ob uns diese gelingen wird oder nicht. Und deshalb ist die Frage der ökologisch-sozialen Steuerreform kein “Nice-to-have”, das man beliebig auf die lange Bank schieben kann, sondern von existentieller Bedeutung.

Apropos Bürger. Xavier Bettel hat in seiner Rede richtig erkannt: man kann von den Bürger*Innen nicht verlangen, beim Klimaschutz mitzumachen, wenn der Staat nicht mit gutem Beispiel vorangeht. Diejenigen, die nun gehofft hatten, dass der Premier die längst überfällige Entscheidung verkünden würde, dass der staatliche Pensionsfonds Fonds de Compensation (FDC) nicht länger in Kohle-, Öl- und Gasunternehmen investieren darf, wurden wieder einmal tief enttäuscht. Der FDC investiert Hunderte Millionen Euro an öffentlichen Geldern in fossile Brennstoffunternehmen. Seit Abschluss des Pariser Klimaschutzabkommens im Jahr 2015 steigen die Investitionen in Kohleunternehmen Jahr für Jahr an, obwohl gerade die Kohle die klimaschädlichste Energiequelle überhaupt ist. Laut eigenem Nachhaltigkeitsbericht tragen die Investitionen des FDC zu einer globalen Erwärmung von 2-3°C über vorindustriellem Niveau bei [1]. Kohärenz sieht anders aus.

Stattdessen zauberte der Regierungschef einen alten Taschenspielertrick aus dem Hut: die CO2-Emissionen von Regierungsreisen sollen durch Kompensationsmechanismen in Luft aufgelöst werden. Das passt perfekt ins Gesamtkonzept der Luxemburger Klimaschutzpolitik: den Bürger*Innen die Illusion zu vermitteln, dass alles so bleiben kann wie es ist, im Zweifel zahlen wir eben dafür. 

Doch es darf nicht alles so bleiben wie es ist. Das betrifft vor allem unseren Finanzsektor. Ob die hiesige Finanzindustrie tatsächlich so nachhaltig ist, wie der Premier es darstellte, daran darf gezweifelt werden. Zwar werden die Regierung und der Finanzsektor nicht müde, Luxemburg als grünes Finanzzentrum zu bewerben. Doch der Lack bröckelt gewaltig. Einer unabhängigen Studie im Auftrag von Greenpeace zufolge waren im Jahr 2019 die 100 größten Luxemburger Investmentfonds für Treibhausgasemissionen verantwortlich, die viermal so hoch sind wie die Emissionen, die das ganze Land verursacht. Diese Fonds investieren keineswegs im Einklang mit den Pariser Klimaschutzzielen, sondern tragen zu einer globalen Erwärmung von +4°C bei [2]. Die Studie machte nicht nur auf die gewaltigen Mengen an finanzierten Treibhausgasemissionen, sondern auch auf die finanziellen Risiken aufmerksam, die mit Investitionen in nicht transformierbare Unternehmen verbunden sind. Die Luxemburger Zentralbank warnte in ihrem jüngsten Bericht zur Lage der Finanzstabilität vor den potentiellen wirtschaftlichen Folgen, denen der Finanzsektor aufgrund von Transitionsrisiken ausgesetzt ist [3]. Und die Finanzaufsichtsbehörde CSSF bescheinigte dem Finanzsektor in einer stichprobenartigen Untersuchung Ende 2020, dass “bei der großen Mehrheit der Emittenten (…) Angaben zum Risikomanagement in Bezug auf klimabezogene Risiken (Identifizierung / Bewertung / Minderung) auf kurze, mittlere und lange Sicht (fehlen)[4]”.

Nicht nachhaltiges Investieren stellt einerseits für Mensch und Umwelt, andererseits für die Wirtschaft unseres Landes eine Gefahr dar. Doch weder Politik noch Finanzsektor wollen sich dieser Herausforderung stellen. Luxemburg möchte sich gerne als Zentrum der “Green Finance” etablieren, doch es gibt dringenden Handlungsbedarf. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis auch Luxemburger Nachhaltigkeitsfonds mit Greenwashing-Vorwürfen konfrontiert werden. Denn nachhaltige Geldanlagen werden ihrem Namen häufig nicht gerecht. Eine rezente Untersuchung von 51 Luxemburger Nachhaltigkeitsfonds kam zu dem Ergebnis, dass diese es kaum schafften, mehr Kapital in eine nachhaltige Wirtschaft zu leiten als herkömmliche Fonds [5]. Damit tragen sie nicht zur Bewältigung der Klimakrise bei, sie täuschen zudem Investoren, die ihr Geld verstärkt in nachhaltige Projekte investieren wollen.   

Die Erkenntnis, dass der ungebremste Klimawandel sich nicht nur zu einer menschlichen und ökologischen Katastrophe entwickelt, sondern auch für unser Land eine systemische Bedrohung darstellt, perlt unterdessen teflonartig an der Regierung ab. Leider reicht es nicht, in Sachen Climate Finance den vom Klimawandel betroffenen Menschen im globalen Süden einen großzügigen Scheck auszustellen. Wir müssen endlich anfangen, die Ursachen von Klima- und Biodiversitätskrise, Armut und Ungleichheit anzupacken. Ansatzpunkte gibt es in Luxemburg jedenfalls genug.

Waren die Klimaschutzmaßnahmen, die der Premier in seiner Rede zur Lage der Nation präsentierte, am Ende nichts weiter als eine Beruhigungspille, um die Bürgerinnen und Bürger zu sedieren? Dem Land und seinen Bewohnern vorzugaukeln, dass alles so bleiben kann wie es ist, und dass es reicht, ein Paar Schräubchen hier und da zu justieren?
Die Frage bleibt offen, ob die blau-rot-grüne Koalition die Herausforderungen von Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung in der verbleibenden Regierungszeit noch anpacken wird. Die andere offene Frage ist, ob es uns gelingen wird, die Bürger und Bürgerinnen Luxemburgs in den kommenden Monaten gegen ein “Weiter so” zu mobilisieren. Denn ein Politikwechsel ist dringender denn je. Wir brauchen Politiker, die den Mut zu gesellschaftlichen Veränderungen haben. Politiker, die den Menschen erklären können, warum Veränderungen notwendig sind. Politiker, die überzeugen können, dass im Wandel auch Chancen für unser Land liegen. Wir alle sind gefordert, damit der Wahlsonntag des Jahres 2023 den Aufbruch des Landes in eine nachhaltigere und gerechtere Zukunft einläutet.


Anmerkungen:

[1] Rapport d’Investisseur responsable, FDC, Décembre 2020

[2] The impact of the 100 largest Luxembourg investment funds on climate change, Dr. Martin Granzow, im Auftrag von Greenpeace Luxemburg, Januar 2021

[3] Revue de la Stabilité financière, Banque Centrale du Luxembourg, Septembre 2021

[4] Revue thématique des informations relatives au climat publiées par les émetteurs, CSSF, 22 Décembre 2020

[5] Sustainability Funds Hardly Direct Capital Towards Sustainability – A Statistical Evaluation of Sustainability Funds in Switzerland and Luxembourg, Greenpeace Luxembourg and Greenpeace Switzerland, Mai 2021

Coal Fired Power Plant in the Rhenish Lignite Mining Area. © Bernd Lauter / Greenpeace