Die von der Europäischen Zentralbank (EZB) proklamierte Politik der “Marktneutralität” verzerrt die Ankäufe der Bank von Unternehmensanleihen zugunsten kohlenstoffintensiver Industrien. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Bericht Decarbonising Is Easy: Beyond Market Neutrality in the ECB’s Corporate QE [1], der am 20. Oktober von der New Economics Foundation, der SOAS University of London, der University of the West of England, der University of Greenwich und Greenpeace Central and Eastern Europe veröffentlicht wurde. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der Ende Juli 2020 von der EZB gehaltenen Unternehmensanleihen im Wert von 241,6 Milliarden Euro von Unternehmen aus kohlenstoffintensiven Sektoren stammen. Die EZB hält unter anderem Anleihen von mehreren der größten Treibhausgas-Emittenten der EU, darunter Total, Shell, OMV und Eni.

Die Politik der “Marktneutralität” der EZB führt laut der Studie zu einer signifikanten Verzerrung beim Kauf von Anleihen zugunsten von kohlenstoffintensiven Unternehmen. So stammen 62,7% der von der EZB gehaltenen Unternehmensanleihen aus kohlenstoffintensiven Sektoren, die jedoch nur 17,8% zur Beschäftigung und nur 29,1% zur Bruttowertschöpfung in der Eurozone beitragen.

“Es ist an der Zeit aufzuhören, sich hinter der so genannten Marktneutralität zu verstecken und anzufangen, bei unseren Entscheidungen die Folgen für den Planeten zu berücksichtigen. Die Europäische Zentralbank muss Anleihen von Unternehmen ablehnen, die das Klima ruinieren, insbesondere angesichts der unzureichenden Effekte auf Beschäftigung und Wertschöpfung für die europäischen Gemeinschaften. Das Direktorium der EZB muss seine Geldpolitik anpassen, den Kauf von Anleihen von großen Umweltverschmutzern einstellen und den Übergang zu einer grünen und gerechten Welt unterstützen”, sagte Jennifer Morgan, Exekutivdirektorin von Greenpeace International.

Die Studie schlägt zwei Szenarien vor, die die EZB umsetzen könnte, um den Übergang zu den erneuerbaren Energien zu unterstützen und dem Klimanotstand entgegenzuwirken. Im “kohlenstoffärmeren” Szenario stoppt die EZB alle Anleihekäufe, die von Unternehmen des fossilen Brennstoffsektors und von anderen kohlenstoffintensiven Unternehmen ausgegeben werden. Stattdessen kauft sie mehr Anleihen, die von Unternehmen mit einem niedrigeren Kohlenstoff-Fußabdruck ausgegeben werden. Im “kohlenstoffarmen”Szenario werden alle von kohlenstoffintensiven Unternehmen emittierten Anleihen aus dem Portfolio der EZB entfernt und mehr kohlenstoffarme Anleihen werden hinzugefügt. Dazu müssten die Auswahlkriterien der Bank gelockert werden, wie z.B. die Streichung der Anforderung, dass Anleihen ein Investment-Grade-Rating haben müssen. Beide Szenarien würden die Anzahl und den Wert der Anleihen, die die EZB kauft, erhöhen und stünden daher im Einklang mit der unterstützenden wirtschaftlichen Rolle, die die EZB während der Covid-19-Pandemie spielt.

“Das Quantitative Easing-Programm der EZB für Unternehmen führt zu einer Bevorzugung kohlenstoffintensiver Unternehmen. Die Kosten dieser Unternehmen für eine Kreditaufnahme werden aktiv gesenkt, was implizit einer Subvention gleichkommt. Anleihen der kohlenstoffintensivsten Unternehmen werden im Vergleich zu kohlenstoffarmen Unternehmen gefördert. Damit handelt die EZB in Widerspruch zu den Umweltzielen der EU-Mitgliedsstaaten und untergräbt effektiv das Pariser Klimaabkommen, das für die EZB bindend ist. Um zu einem besseren Wiederaufbau beizutragen und ein finanzielles Klima zu schaffen, das einen ‘Green Deal’ unterstützt, müssen wir einen Rahmen schaffen, der Investitionen vorantreiben wird, die einen nachhaltigen und widerstandsfähigen Aufschwung unterstützen”,sagte Miatta Fahnbulleh, CEO der New Economics Foundation.

“Seit 2016 hat das Quantitative Easing-Programm der EZB eine große Anzahl von Unternehmen mit hoher Umweltbelastung unterstützt. Dies ist das Ergebnis der Anwendung des Prinzips der Marktneutralität, das im Zeitalter des Klimanotstands selbst von der EZB allmählich als problematisch erkannt wird. Es ist jetzt an der Zeit, dass Europas mächtigste Finanzinstitution ihr QE-Programm dekarbonisiert und zu unseren gemeinsamen Anstrengungen für einen raschen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft beiträgt. Unsere Datenanalyse zeigt, wie dies erreicht werden kann”,sagte Yannis Dafermos, Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der SOAS University of London.


Anmerkung an die Redaktion

[1] “Decarbonising Is Easy: Beyond Market Neutrality in the ECB‘s Corporate QE” wurde von der New Economics Foundation (NEF), der SOAS University of London, der University of the West of England, der University of Greenwich und Greenpeace Central and Eastern Europe veröffentlicht.

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