Ob es sich um die Klimakrise, die Pandemie, den Krieg in der Ukraine oder eine der vielen anderen Herausforderungen handelt, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, wir befinden uns auf unerklärliche Weise in einer Krise der Vorstellungskraft. Seit Beginn der Menschheit haben wir uns angepasst und unsere Art zu überleben und uns weiterzuentwickeln verändert. Wir haben erkannt, dass die Systeme, in denen wir leben – und unser derzeitiges Wirtschaftssystem ist hier ein Dreh- und Angelpunkt – auf Ungleichheit, übermäßigem Konsum, dem Streben nach unendlichem Wachstum auf Kosten von Mensch und Umwelt und der nicht nachhaltigen Ausbeutung begrenzter Ressourcen beruhen, was zu Umweltkatastrophen und bewaffneten Konflikten führt.

Diese verheerenden Auswirkungen sind bekannt und werden toleriert, und dies schon viel zu lange. Sie machen sich allmählich auch in Luxemburg bemerkbar, das bislang relativ verschont geblieben ist: häufigere Überschwemmungen, regelmäßige und intensivere Trocken- und Hitzewellen, Wirbelstürme… die Signale, die uns der Planet sendet, können nicht unbeantwortet bleiben.

Tragischerweise hat man es versäumt, sich ein harmonisches und friedliches Wirtschaftssystem vorzustellen, hat es versäumt, die Möglichkeiten zu erforschen, ist nicht bereit, sich auf Veränderungen einzulassen, und glaubt fälschlicherweise, die Zeit sei auf unserer Seite. Das Zeitfenster für die Möglichkeiten, den Zusammenbruch des Klimas und der biologischen Vielfalt zu verhindern und ein Wirtschaftssystem zu schaffen, das in Harmonie mit den Menschen und dem Planeten funktioniert, schließt sich. Mit Mut, Hoffnung und politischem Engagement können wir unser Wirtschaftssystem radikal umgestalten, damit wir nicht nur überleben, sondern künftigen Generationen ein Gedeihen im Einklang mit der Natur und untereinander ermöglichen. Eine Umgestaltung unseres Wirtschaftssystems hätte aufgrund seiner Wechselwirkungen eine unmittelbare und langfristige Auswirkung auf alle intersektionalen Systeme [1], in denen wir derzeit ums Überleben kämpfen.

Die Klima- und Naturkrise ist durch schlechte Entscheidungen entstanden – wir können und müssen besser entscheiden, was das Beste für unseren Planeten und alle Menschen ist. Es geht nicht darum, das Wirtschaftssystem durch schrittweise Veränderungen nachhaltiger zu machen, denn die Grundlagen des Systems waren von Anfang an morsch. Wir müssen große Träume haben. Wir müssen neue Samen für die Zukunft säen und realistische Utopien schaffen.

Gegenwärtig arbeiten wir für und in einem Wirtschaftssystem, das uns schadet. Es gibt bereits eine große Anzahl an alternativen Wirtschaftsvorschlägen, Theorien für Leuchtturmprojekte, die die Menschen und den Planeten besser respektieren. Viele dieser wirtschaftlichen Ansätze werden seit Aristoteles erforscht und bereits aktiv entwickelt und vor Ort in kleinem Maßstab oder isoliert umgesetzt, weshalb man in der Regel nicht (oder nur wenig) von ihnen hört. In Luxemburg kann man beispielsweise Beki, die lokale Währung des Kantons Redange, erwähnen, die einen lokalen und damit verantwortungsvolleren und menschlicheren Konsum fördert, oder Kooperativen wie Equienercoop, TM EnerCoop, BIOG, OUNI, TERRA etc. Diese Kooperativen unterstützen die nationale Energiewende, eine biologische und umweltfreundlichere Lebensmittelproduktion.

Eine neue Wirtschaft zu erdenken, ist nicht mit finanziellem Gewinn als einzigem Ziel möglich. Bei der Gemeinwohl-Ökonomie werden die Aktivitäten eines Unternehmens und seine Auswirkungen anhand von Parametern bewertet, die im Vorfeld festgelegt werden. In Luxemburg hat sich insbesondere die Oikopolis-Gruppe (Naturata) für diese Art der Bewertung entschieden. Auch die Gemeinde Mertzig hat diesen Ansatz für ihre eigene Bewertung gewählt und bereits öffentlich erklärt, dass sie sich weiterhin um die Erreichung der Ziele des Gemeinwohls für alle ihre Einwohner bemühen will, was den Weg für andere gleichwertige Initiativen ebnet.

Diese Beispiele zeigen uns, dass ein Wirtschaftssystem, das im Einklang mit der Umwelt und für das Gemeinwohl – und nicht nur für den Profit einiger weniger – funktioniert, und auch auf internationaler Ebene möglich ist.

Vor 250 Jahren wurde die Gründungsideologie unseres heutigen westlichen Wirtschaftssystems geboren: Die “unsichtbare Hand” würde die Kräfte der freien Märkte lenken und auf magische Weise das Streben nach individuellem Profit in den Nutzen aller verwandeln. Nicht zufällig nahmen vor 250 Jahren die mit fossilen Brennstoffen betriebene Industrialisierung und die systematische, groß angelegte Ausbeutung natürlicher Ressourcen Fahrt auf und brachten eine neue soziale Einheit hervor, die heute als “Arbeiterklasse” bekannt ist. Heute, 250 Jahre später, sehen wir, wie sich diese “unsichtbare Hand” als zerstörerisch und ungerecht erwiesen hat und den Planeten und die Menschen in Gefahr bringt. Diese Hand kann durch eine praktische Anwendung der Gemeinwohlökonomie “sichtbar” gemacht werden, die auf der Bewertung von vier Kriterien in Unternehmen beruht: Menschenwürde, Solidarität und soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz in der Lieferkette.

Heute müssen wir uns auf die “öffentlichen Hand” verlassen, nämlich die Regierungen und ihre Rolle im Wirtschaftssystem. Hunderte von Milliarden öffentlicher Gelder fließen in fossile Brennstoffe und nicht in Klimalösungen, obwohl die Wissenschaft eindeutig nachgewiesen hat, dass Öl, Kohle und fossiles Gas nicht mit einer grünen, harmonischen und sicheren Zukunft vereinbar sind. Allein durch die Abschaffung der Subventionen für fossile Brennstoffe könnten die Emissionen bis 2030 weltweit um bis zu 10% gesenkt werden, und es würden Gelder für erneuerbare Energien und die Qualifizierung von Arbeitnehmer*innen frei, die derzeit in umweltschädigenden Branchen beschäftigt sind. In diesem Zusammenhang ist Luxemburg besonders für seine Verbindung zur Ölindustrie bekannt, da es im Vergleich zu den Nachbarländern eine günstige Besteuerung von Kraftstoffen hat. Auf europäischer Ebene konzentriert sich der RePowerEU-Plan, der diese Woche vorgestellt wurde, vor allem auf die Diversifizierung der fossilen Energiequellen, um sich von russischen Importen unabhängig zu machen. Damit begünstigt Europa erneut die großen, dominanten Produzenten, die sich nicht um Menschen- und Umweltrechte kümmern, anstatt die Energiewende zu beschleunigen und die wirtschaftlich schwächsten EU-Bürgerinnen und -Bürger zu schützen.

Wie auch immer wir uns ein zukünftiges Wirtschaftssystem vorstellen, die Menschen werden weiterhin ihre existenziellen Bedürfnisse befriedigen. Fast 8 Milliarden Menschen, die heute auf der Erde leben und deren Zahl bis zum Ende des Jahrhunderts auf 11 Milliarden anwachsen soll, arbeiten und bemühen sich, Nahrung, Unterkunft und Güter des täglichen Bedarfs zu beschaffen. Die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse muss auf nachhaltige und bezahlbare Weise innerhalb der natürlichen Grenzen des Planeten erfolgen, was in westlichen Ländern nicht der Fall ist. Luxemburg mit seinen 645.000 Einwohnern hat einen der größten ökologischen Fußabdrücke pro Person weltweit. Der Wandel muss also durch eine grundlegende Änderung unseres Konsumverhaltens erfolgen, aber nicht nur.

Eine grundlegende Umgestaltung unserer wirtschaftlichen Basis, der Infrastruktur und des Produktionsapparats, den die modernen Gesellschaften in den vergangenen Jahrhunderten entwickelt haben, ist erforderlich. Die “unsichtbare Hand” unseres derzeitigen Wirtschaftssystems betrügt uns alle. Um hier Abhilfe zu schaffen, können erhebliche öffentliche Investitionen besser genutzt werden, um die Hardware unserer Volkswirtschaften umzugestalten: unsere gesamte bebaute Umwelt, den Wohnungsbau, unser Mobilitätssystem, die Nahrungsmittel- und Energieproduktion. Dies wiederum würde unser Wirtschaftssystem auf ein Fundament stellen, das auf den Werten der Menschen und des Planeten beruht und nicht auf dem Wert des Profits um jeden Preis. Wir müssen uns fragen, wie wir Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit in Gesellschaften herstellen können, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird.

Lassen wir unserer Fantasie freien Lauf! Lassen Sie uns gemeinsam eine friedliche, gerechtere, gesündere und grünere Welt entwerfen, indem wir zuerst unser Wirtschaftssystem umgestalten und dann diese Träume in die Realität umsetzen.


[1] Ein Begriff, der in der Soziologie und im politischen Denken verwendet wird und die Situation von Menschen bezeichnet, die gleichzeitig mehreren Formen der Schichtung, Dominanz oder Diskriminierung in einer Gesellschaft ausgesetzt sind.


Markus Trilling, EU Economic Advisor, Greenpeace European Unit

Frédéric Meys, Campaigner, Greenpeace Luxemburg