Luxemburg, 18. April 2023 – Acht europäische Greenpeace-Länderbüros haben heute beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Europäische Kommission eingereicht. Dabei geht es um den ergänzenden delegierten Rechtsakt der EU-Kommission vom März 2022, durch den auch Investitionen in Erdgas und Atomkraft als nachhaltig und klimafreundlich einzustufen sind.
Dagegen haben Greenpeace Luxemburg und sieben weitere europäische Greenpeace-Länderbüros am 9. September 2022 Widerspruch erhoben. Am 8. Februar 2023 erhielten sie die Ablehnung ihres Antrags, woraufhin die Organisationen beschlossen den Europäischen Gerichtshof zu ersuchen die Entscheidung der Kommission vom Februar 2023 für nichtig zu erklären und die Aufnahme von Erdgas und Atomenergie in die EU-Taxonomie für ungültig.
Während die entsprechenden Papiere offiziell elektronisch eingereicht wurden, versammelten sich heute früh Aktivist:innen von Greenpeace Luxemburg vor dem Gerichtshof, um ihrem Zorn über das umstrittene “grüne” Label für Gas und Atomkraft Ausdruck zu verleihen. Zu ihnen gesellten sich Bürgeraktivist:innen aus dem Po-Delta in Italien, einem empfindlichen Ökosystem, in dem die Gewinnung von Erdgas zu Bodensenkungen geführt hat und wo künftig noch mehr Gas gefördert werden soll, sowie Aktivist:innen aus der Stadt Konz in Deutschland, das flussabwärts vom Atomkraftwerk Cattenom in Frankreich liegt.
Zu den offiziellen Klägern gehören acht Greenpeace-Länderbüros, darunter Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Belgien, Luxemburg, Mittel- und Osteuropa sowie die Greenpeace European Unit. [1] Unabhängig davon hat auch die österreichische Regierung den Gerichtshof ersucht, den Greenwashing-Akt der Kommission für nichtig zu erklären. Luxemburg wird an der Seite Österreichs als Streithelfer in seinem Rechtsstreit intervenieren.
Nach Einschätzungen von Greenpeace ermöglicht die Taxonomie-Verordnung der Kommission der Erdgas- und Atomindustrie den Zugriff auf finanzielle Mittel, die andernfalls in erneuerbare Energien geflossen wären. Kurz nach der Einführung der EU-Taxonomie im Juli 2022 kündigte EDF an, seine alten und schlecht gewarteten Atomreaktoren durch die Vergabe von grünen Anleihen zu finanzieren, die im Einklang mit der Taxonomie stehen. Greenpeace Atomkampaigner Roger Spautz erklärt: “Bei der Kernenergie entsteht gefährlicher Atommüll, und es werden riesige Mengen an Süßwasser verbraucht, was verheerende negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt und die Natur hat. Zusätzlich machen die unverhältnismäßig langen Bauzeiten von durchschnittlich 15 Jahren und die ständig steigenden Kosten von Atomkraftwerken deutlich, wie ungeeignet Atomkraft als Lösung für die Klimakrise ist.”
Myrna Koster, Kampagnerin für Klimagerechtigkeit bei Greenpeace Luxemburg, fügt hinzu: “Wir befinden uns in einem Wettlauf mit der Zeit: Klima und Umwelt stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Wenn der Gerichtshof jedoch den Versuch der Kommission, Gas und Atomkraft als umweltfreundlich zu kennzeichnen, zurückweist, besteht für die EU die Chance, die Ziellinie noch zu erreichen. In der Zwischenzeit machen Umweltsünder sich bereits jetzt das umstrittene Ökosiegel zu Nutzen, um grüne Finanzmittel von dort abzuziehen, wo sie gebraucht werden. Wenn Sie zum Beispiel bei einem grünen Rentenfonds Geld anlegen, ist es möglich, dass dieser Fonds jetzt den Ausbau der fossilen und nuklearen Energiewirtschaft unterstützt. Das ist nicht hinnehmbar, und deshalb sind wir heute vor Gericht.”
Juristisch vertreten wird Greenpeace in diesem Fall von Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen [2]. Ihr zufolge soll in diesem Verfahren vor allem bewiesen werden, dass die Europäische Kommission schlichtweg ihr Ziel verfehlt hat. “Der delegierte Rechtsakt zu Gas und Atomkraft entspricht nicht dem, was im Rahmen der Taxonomie durch das EU-Recht festgelegt wurde. Im Gegenteil, die Europäische Kommission hat das eigentliche Prinzip der Taxonomie mit Füßen getreten, insbesondere indem sie umweltschädliche nukleare Aktivitäten einbezogen hat, was in der Verordnung ausdrücklich verboten ist.”
Notizen:
[1] Zeitgleich klagen ClientEarth, das WWF European Policy Office, der BUND (Friends of the Earth Germany) und Transport and Environment bei der Europäischen Kommission gegen die Aufnahme von Erdgas in die Taxonomie.
[2] Die Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen spielte bereits 2019 eine führende Rolle in der von Greenpeace Deutschland mitinitiierten Klimaklage gegen das deutsche Klimaschutzgesetz. Das deutsche Bundesverfassungsgericht erklärte das Gesetz als verfassungswidrig und wies die Regierung dazu an, es mit dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 in Einklang zu bringen.
Fotos und Videos der Fotoaktion werden hier zum Download bereit stehen.
Weitere technische und rechtliche Informationen über die Argumente von Greenpeace gegen die Aufnahme von Gas und Atomkraft in die EU-Taxonomie finden Sie in unserem Medienbriefing vom Februar 2023.